himmelsscheibe von nebra urteil § 71 UrhG landgericht magdeburg
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Aktenzeichen: 7 O 847/03
Verkündet am:
16.10.2003


LANDGERICHT MAGDEBURG

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

In Sachen

...
 - Klägerin -
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwalt ...

g e g e n

...
- Beklagte -
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwalt ...

...


Sachverhalt:


Das klagende Land begehrt von der Bekl. die Einwilligung in die Löschung dreier für diese eingetragener Marken, die die so genannte „Himmelsscheibe von Nebra“ zum Gegenstand haben. Im Juli 1999 wurde in Sachsen-Anhalt auf dem Mittelberg nahe Wangen bei Nebra im Landkreis Merseburg-Querfurt in einer ringförmigen Wallanlage eine rund zwei Kilogramm schwere, kreisrunde Scheibe mit einem Durchmesser von 32 Zentimetern gefunden. Die mit Goldauflagen versehene Bronzescheibe weist auf Grund ihrer Gestaltung offensichtliche Bezüge zur Himmelskunde auf und wird nicht zuletzt wegen ihres geschätzten Alters von 3600 Jahren als Schlüsselfund der so genannten Archäoastronomie und einzigartige Darstellung des Kosmos im vorgeschichtlichen Europa angesehen.

Die beiden Finder der Scheibe versuchten, sie über Hehler in Berlin, München und in der Schweiz zu veräußern, bis es der Polizei im Februar 2002 bei einer fingierten Verkaufsaktion gelang, die Scheibe sicherzustellen.

Im Februar 2002 erschien im Focus-Magazin ein Bericht unter dem Titel „Die Jagd nach den Sternen“ mit einem Lichtbild der Scheibe, das Wochen vor ihrer Sicherstellung aufgenommen worden war. Ebenso im Februar 2002 erschien ferner ein Lichtbild der Scheibe in der Basler Zeitung, das durch den zuständigen Staatsanwalt der Basler Staatsanwaltschaft zeitgleich mit der Sicherstellung der Scheibe und anderer archäologischer Gegenstände gefertigt worden war. Am Tag zuvor hatte der Staatsanwalt zudem eine Internet-Mitteilung auf der Homepage der Staatsanwaltschaft Basel veröffentlicht, in der ebenfalls zwei Lichtbilder der Scheibe präsentiert wurden. In der Folgezeit wurde die Scheibe dem kl. Land ausgehändigt. Sie befindet sich seitdem in der Obhut des Landesamtes für Archäologie, wo sie untersucht und umfangreich restauriert wurde. Seit März befindet sie sich im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale.

Am 25.09.2002 stellte dieses die Scheibe der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz vor, verteilte Abbildungen über eine Pressemitteilung und eine CD-Rom, die den anwesenden Personen, unter denen sich auch der Bürgermeister der Bekl. befand, zur Verfügung gestellt wurde. An diesem Tag erhielt die Scheibe den Namen „Himmelsscheibe von Nebra“, unter dem sie in der Folgezeit weltweit bekannt wurde. Am 27.09.2002 meldete die Bekl. die zwei streitgegenständlichen Wort-Bildmarken, die jeweils als Bild die Himmelsscheibe in leicht stilisierter Form und den Schriftzug „Himmelsscheibe von Nebra“ bzw. „Himmelsscheibe Mittelberg Ziegelroda“ enthalten, und eine die stilisierte Himmelsscheibe enthaltende Bildmarke beim DPMA an. Diese wurden am 13.12.2002 unter 30247929, 30247930 und 30247928 für die Warengruppen Juwelierwaren, Schmuckwaren, Uhren, Papier, Pappe, Druckereierzeugnisse, Büroartikel (ausgenommen Möbel), Glas und Glaswaren (soweit in Klasse 21 enthalten), Porzellan und Steingutware, Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Spiele und alkoholische Getränke (ausgenommen Biere) [673] eingetragen. Nachdem das kl. Land ebenfalls eine Markenanmeldung der „Himmelsscheibe von Nebra“ vorgenommen hatte, mahnte die Bekl. mit Schreiben vom 27. 2. 2003 das kl. Land ab, forderte es auf, die Markenanmeldung zurückzunehmen, machte Unterlassungs- und Auskunftsansprüche geltend und kündigte die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen an. Dieses Begehren wies das kl. Land zurück und forderte seinerseits die Bekl. erfolglos auf, die eingetragenen Marken löschen zu lassen.

Die Klage hatte Erfolg.

Gründe:

Das klagende Land kann von der Bekl. die Einwilligung in die Löschung der für diese eingetragenen Marken gem. § 71 UrhG i.V. mit §§ 13, 51 I, 55 II Nr. 2 MarkenG verlangen.

Gem. § 13 I MarkenG kann die Eintragung einer Marke gelöscht werden, wenn ein anderer ein prioritätsälteres Recht hat, das nicht unter die §§ 9-12 MarkenG fällt und das ihn berechtigt, die Benutzung der eingetragenen Marke zu untersagen.

Über ein derartiges Recht verfügt das kl. Land, da es am 25. 9. 2002 und damit zeitlich vor den Markenanmeldungen durch die Bekl. gem. § 71 UrhG Inhaber des ausschließlichen Verwertungsrechts an der Himmelsscheibe geworden ist.

Nach der genannten Vorschrift hat derjenige das ausschließliche Verwertungsrecht, der ein nicht erschienenes Werk, das im Geltungsbereich des Urhebergesetzes niemals geschützt war und dessen Urheber länger als 70 Jahre tot ist, erlaubterweise erstmals erscheinen lässt. Diese Voraussetzungen sind für das kl. Land erfüllt. Dass der Schöpfer der Himmelsscheibe länger als siebzig Jahre tot ist und diese niemals im Geltungsbereich des Urhebergesetzes geschützt war, steht auf Grund ihres Alters außer Frage.

Durch die Präsentation auf der Pressekonferenz am 25.09.2002 ist die Himmelsscheibe erlaubterweise erstmalig erschienen. Wann ein Werk erschienen ist, richtet sich nach § 6 UrhG. Nach dessen Abs. 2 S. 1, der hier einschlägig ist, ist ein Werk dann erschienen, wenn Vervielfältigungsstücke des Werks, also körperliche Festlegungen, die geeignet sind, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen (vgl. Schricker, UrheberR, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 6), nach ihrer Herstellung mit Zustimmung des Berechtigten in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind.

Derartige Vervielfältigungen hat das kl. Land auf der Pressekonferenz in Form von mit Lichtbildern versehenen Pressemitteilungen und CD-Roms verteilt, wodurch die Himmelsscheibe erstmals mit Zustimmung des Berechtigten der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Berechtigter i.S. des § 6 UrhG ist der Urheber oder sein Rechtsnachfolger. Da § 71 UrhG gerade voraussetzt, dass der Urheberrechtsschutz erloschen ist oder niemals bestanden hat, kann der Berechtigte i.S. des § 71 UrhG nicht der Urheber oder sein Rechtsnachfolger sein und muss unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der genannten Vorschrift ermittelt werden.

Der Zweck des § 71 UrhG liegt darin, die Leistung desjenigen, der ein nachgelassenes Werk auffindet, dessen Wert erkennt und es veröffentlicht, anzuerkennen und zu belohnen. Mit dem zeitlich begrenzten ausschließlichen Verwertungsrecht soll ein Ausgleich für den oft erheblichen Arbeits- und Kostenaufwand gewährt und auf diese Art und Weise ein Anreiz für die Veröffentlichung nachgelassener Werke geschaffen werden (vgl. Schricker, § 71 Rdnr. 1 m.w. Nachw.).

Dies rechtfertigt es, den Eigentümer des Werks als Berechtigten i.S. des § 71 UrhG anzusehen. Denn derjenige, der neben dem Urheber das stärkste Recht am Werk hat, ist dessen Eigentümer. Ist der Urheber oder dessen Rechtsnachfolger nicht mehr vorhanden, ist der Einzige, der berechtigterweise auf das Werk Einfluss nehmen und entscheiden kann, was mit ihm geschehen soll, der Eigentümer. Abgesehen davon, dass der Eigentümer eines nicht erschienenen Werks, dessen Urheber nicht bekannt ist, die Wahl hat, ob er das Werk überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich macht oder es vor dieser verbirgt, kann auch nur er beispielsweise dessen Aufarbeitung, Ausstellung, Präsentation etc. vornehmen, veranlassen oder gestatten und damit dem Interesse der Allgemeinheit und Öffentlichkeit in dem von § 71 UrhG gewünschten Umfang dienen. Der im Interesse der Allgemeinheit durch das alleinige Verwertungsrecht zu schaffende Anreiz ist daher vorrangig an den Eigentümer gerichtet. Er soll durch die Möglichkeit, aus der Vermarktung des veröffentlichen Werks finanzielle Vorteile zu ziehen, dazu verlockt werden, es einem großen Kreis z.B. durch Ausstellungen und Berichte zugänglich zu machen und Geld für die Erhaltung und Restauration aufzuwenden, und verhindern, dass die Veröffentlichung an den dadurch entstehenden Kosten scheitert.

Angesichts dessen erscheint es nicht sachgerecht, demjenigen, der zwar eine hinreichende Anzahl von Vervielfältigungen des Werks in den Verkehr gebracht, sonst aber keinerlei Einfluss auf das Werk selbst hat, für diesen relativ kleinen Beitrag mit dem alleinigen Verwertungsrecht zu belohnen. Um dem Ziel des § 71 UrhG in möglichst weitem Umfang gerecht werden zu können, muss daher dem Eigentümer des Werks die Möglichkeit vorbehalten bleiben, selbst ein zeitlich begrenztes Verwertungsrecht zu erwerben bzw. zu entscheiden, wer Inhaber des Verwertungsrechts werden soll.

Das bedeutet entgegen der Auffassung des kl. Landes indes nicht, dass die Nutzungs- und Verwertungsrechte grundsätzlich zeitlich unbegrenzt beim Eigentümer des Werks liegen. Die bürgerlichrechtlichen Besitz- und Eigentumsvorschriften dienen dem Schutz der Sachherrschaft über die körperliche Sache (BGH, GRUR 1990, 390 = NJW 1989, 2251 [2252] - Friesenhaus). Zwar steht die gewerbliche Nutzung einer Sache im Grundsatz dem Eigentümer zu, ob das aber allgemein zu gelten hat, hat der BGH (GRUR 1975, 500 [501] = NJW 1975, 778 - Schloß Tegel) ausdrücklich offen gelassen. Die Tatsache, dass beispielsweise in den Fällen, in denen Eigentümer und Urheber nicht identisch sind, die Verwertungsrechte beim Urheber liegen, spricht vielmehr gegen die Annahme des kl. Landes.

Eigentümer der Himmelsscheibe und damit Zustimmungsberechtigter i.S. des § 71 UrhG ist das kl. Land gem. § 12 DenkmSchG LSA geworden, dessen tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind.

Die von der Bekl. geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf § 12 DenkmSchG LSA sind weder nachvollziehbar dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Zwar weicht die landesrechtliche Regelung von § 984 BGB ab, diese Abweichung ist jedoch ausdrücklich durch Art. 73 EG BGB gebilligt worden.

Soweit die Bekl. erstmals mit Schriftsatz vom 28.08.2003 den in Sachsen-Anhalt liegenden Fundort der Himmelsscheibe und daraus folgernd die Eigentümerstellung des kl. Landes bestritten hat, ist dieses Bestreiten unsubstanziiert und damit unbeachtlich. Grundlage des Bestreitens ist ein Artikel in der MZ vom 27.08.2003, in dem u.a. über einen Strafprozess in Naumburg berichtet wurde. In diesem Artikel wird die Auffassung von Verteidigern wiedergegeben, wonach Sachsen-Anhalt „auf keinen Fall“ der wahre Fundort sein könne, weil die Zentren der bronzezeitlichen Gesellschaften in Bayern oder Tschechien gelegen hätten. Abgesehen davon, dass sich das Bestreiten der Bekl. auf bloße Spekulationen von Personen gründet, die aus eigener Kenntnis zum Fundort nichts sagen können, ist es gerichtsbekannt, dass der bis dahin angegebene Fundort der Himmelsscheibe, an dem weitere Schätze aus der Bronzezeit gefunden worden sind, im weiteren Prozessverlauf als solcher bestätigt worden ist.

Überdies geht die Bekl. selbst offenbar nicht ernsthaft davon aus, dass die Scheibe tatsächlich in einem anderen Bundesland aufgefunden wurde. Denn sie verteidigt die von ihr vorgenommene Markenanmeldung u.a. damit, dass sie sich das Recht vorbehalten wollte, die Himmelsscheibe unter der lokal richtigen Bezeichnung „Himmelsscheibe von Mittelberg-Ziegelroda“ zu vermarkten und geht mithin von einem Fundort in Sachsen-Anhalt aus.

Da die zeitlich bereits vor der Pressekonferenz erfolgten Berichterstattungen im Focus, in der Basler Zeitung und auf der Internet-Seite der Staatsanwaltschaft Basel ohne Zustimmung des kl. Landes erfolgten, stehen sie der Annahme des erlaubterweise erstmaligen Erscheinens der Himmelsscheibe am 25.09.2002 mithin nicht entgegen.

Die Annahme des erstmaligen Erscheinens der Himmelscheibe anlässlich der Pressekonferenz am 25.09.2002 ist selbst dann nicht widerlegt, wenn die Scheibe in vormaligen Zeiten als Kultobjekt genutzt worden sein sollte. Es würde dem oben dargelegten Sinn und Zweck des § 71 UrhG widersprechen, wenn man von demjenigen, der, wie hier, ein vermutlich mehrere tausend Jahre verschollenes Werk erscheinen lässt, den Nachweis verlangen würde, dass dieses Werk niemals zuvor der Öffentlichkeit zugänglich war. Da dieser Beweis in der Regel ebenso wenig zu führen sein wird wie der Gegenbeweis, würde das Recht aus § 71 UrhG in den meisten Fällen nicht zur Entstehung gelangen, was zweifellos nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt war. Steht fest, dass das Werk über einen langen Zeitraum nicht der Öffentlichkeit zugänglich war und liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme des Gegenteils vor, ist mithin davon auszugehen, dass das Werk noch nicht erschienen war.

So liegt der Fall hier: Aus der Pressemitteilung des kl. Landes ergibt sich, dass die Scheibe über einen sehr langen Zeitraum im Boden verborgen gewesen sein muss, weil sie mit einer grobkristallinen Schicht aus reinem Malachit überzogen war, das so nur im Laufe sehr langer Zeiträume im Boden entsteht. Anhaltspunkte dafür, dass die Himmelsscheibe früher einmal der Öffentlichkeit zugänglich war, gibt es nicht.

Unterschriften