OLG Jena, Urteil, Rechtsanwalt ohne Zulassung
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Aktenzeichen: 1 Ss 206/96
Beschluss vom 15.12.1997


OBERLANDESGERICHT JENA


IM NAMEN DES VOLKES


URTEIL


Leitsatz:

Wenn ein Rechtsassessor, der die Zulassung als Rechtsanwalt beantragt hat und alle Voraussetzungen zur Zulassung als Rechtsanwalt erfüllt, vor Erteilung der beantragten Rechtsanwaltszulassung die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“, indem er in einem Strafverfahren als Verteidiger auftritt, macht er sich des Mißbrauchs von Titeln nach § 132a StGB strafbar und ein Ausschluß der Strafbarkeit wegen fehlender Beeinträchtigung des Schutzzweckes der Norm des § 132a StGB scheidet aus.

Aus den Gründen:

Die Feststellungen tragen den Freispruch von dem Vorwurf des Mißbrauchs von Titeln nicht. Bei dem festgestellten Sachverhalt geht die rechtliche Bewertung des Gerichts, daß eine Verurteilung gem. § 132a StGB nicht in Betracht kommen könne, weil das Schutzgut des Tatbestandes nicht berührt werde, fehl.

Zutreffend hat das AG ausgeführt, daß das durch § 132a StGB geschützte Rechtsgut die Allgemeinheit ist. Durch die Regelung werden nicht die berechtigten Inhaber von Amtsbezeichnungen usw. wegen ihrer besonderen, „herausgehobenen“ Stellung geschützt, sondern die Allgemeinheit soll davor bewahrt werden, daß einzelne von ihnen im Vertrauen darauf, daß eine bestimmte Person eine bestimmte Stellung hat, Handlungen vornehmen könnten, die für sie oder andere schädlich sein können (BT-Dr. 7/550 S. 361; BGH, NJW 1982, 2009).

Der Schutzzweck der Norm hat jedoch einen weiteren Aspekt, der insbesondere durch die ausdrückliche Aufnahme von Berufsbezeichnungen in § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB verdeutlicht wird: Die in dieser Vorschrift genannten Berufe – also auch der Beruf eines Rechtsanwalts – bedingen zwecks funktionsgerechter Ausübung ein besonderes Vertrauensverhältnis des rat-, rechts- oder hilfesuchenden Bürgers zu den Trägern dieser für die Allgemeinheit wichtigen Berufsgruppen, das in der Berufsbezeichnung einen maßgeblichen Anknüpfungspunkt hat. Als Schutzgut der Norm muß damit auch das Vertrauen in die wirkliche, mit der Berufsbezeichnung verknüpfte Funktion des Berufsträgers und mittelbar die auf dem Vertrauenstatbestand basierende Funktionsfähigkeit der jeweiligen Berufsgruppen angesehen werden (vgl. LK-von Bubnoff, § 132a StGB Rdnr. 2, SK Rudolphi, § 132a StGB Rdnr. 2). Auch insoweit soll die Allgemeinheit durch den Tatbestand des § 132a StGB geschützt werden.

Unter Berücksichtigung dieses wesentlichen Aspektes kommt nach den getroffenen Feststellungen durchaus eine Tatbestandsmäßigkeit des Handelns des Angeklagter – eine Verwendung des Titels Rechtsanwalt unter solchen Umständen, daß das durch § 132a StGB geschützte Rechtsgut gefährdet wird – in Betracht.

Das AG ist im angefochtenen Urteil im Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen, daß der Angeklagter in zwei Hauptverhandlungen vor dem Strafrichter des AG Mühlhausen als Rechtsanwalt aufgetreten ist, was er durch Überreichen einer auf „RA R“ ausgestellten Untervollmacht, das Anziehen der Robe und in einem Fall durch Bestätigung auf entsprechende Rückfrage zum Ausdruck gebracht habe. Ein solches Verhalten in einer öffentlichen Sitzung ist jedoch geeignet, das Vertrauen in die wirkliche, mit der Berufsbezeichnung verbundene Funktion des Rechtsanwalts zu beeinträchtigen. Gerade wenn eine solches Verhalten, der Mißbrauch der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt, in einem Strafverfahren erfolgt, in dem es in besonderem Maße um die Feststellungen der Wahrheit geht, wird das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Berufsgruppe ernsthaft berührt. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung grundlegend von den Fällen, in denen die Rechtsprechung ein „Führen“ der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt als nicht tatbestandsmäßig wegen fehlender Gefährdung des Rechtsgutes des § 132a StGB angesehen hat: BGH, NJW 1982, 2009 – Bezeichnung als Rechtsanwalt gegenüber einer Zeugin bei einem privaten Treffen in einer Gaststätte, um zu imponieren; BayObLG, MDR 1973, 778 – Führen der Bezeichnung Rechtsanwalt in einem Kopfbogen in zwei Schreiben durch einen ehemaligen Rechtsanwalt bei Geltendmachung einer Honorarforderung an einen ehemaligen Mandanten, OLG Saarbrücken, NStZ 1992, 236 – Einschreiten eines Gerichtsassessors, der eine körperliche Durchsuchung eines Ausländers durch die Polizei als Überreaktion ansah, Entgegnung auf Befragen der Polizeibeamten, er sei Rechtsanwalt unter Hinzufügen der Worte „daß jeder ein Recht auf faire Behandlung und auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt vor Gericht habe“. In all diesen Fällen war der o. g. zusätzliche Schutzaspekt des § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB gerade nicht berührt. Hier hing vom Verhalten des Angeklagter zudem jeweils die weitere Verfahrensweise des Gerichts ab. Geht das Gericht von der Richtigkeit der Behauptung, der Betreffende sei Rechtsanwalt, aus, dann hat es ohne weitere Prüfung die Verteidigung durch die dies behauptende Person hinzunehmen. Dies gebietet § 138 Abs. 1 StPO, wonach Rechtsanwälte zu Verteidigern gewählt werden können. Hätte der Angeklagter aber angegeben, daß er nicht Rechtsanwalt, sondern Rechtsassessor ist, hätte es einer richterlichen Entscheidung nach § 138 Abs. 2 StPO bedurft. Die danach erforderliche Genehmigung zur Bestellung als Verteidiger hat der Angeklagter somit umgangen. Wenn die Inanspruchnahme der Bezeichnung „Rechtsanwalt“, wie hier, ein rechtserhebliches Verhalten auslöst, liegt „Führen“ i. S. d. § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB vor.

Nach alledem kommt nach den vom AG Mühlhausen getroffenen Feststellungen ein Ausschluß der Strafbarkeit wegen fehlender Beeinträchtigung des Schutzzweckes der Norm des § 132a StGB nicht in Betracht. Vielmehr sprechen die getroffenen Feststellungen für die Erfüllung des Tatbestandes des § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht. Der Umstand, daß im übrigen schädliche Auswirkungen nicht eingetreten sind, beeinflußt die Tatbestandsmäßigkeit, da es sich beim § 132a StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, ohnehin nicht. Soweit im angefochtenen Urteil davon ausgegangen wird, die Zulassung als Rechtsanwalt nach § 12 BRAO sei hier lediglich ein formaler Akt, weil es sich beim Angeklagter um einen Rechtsassessor handelte, der bereits alle Voraussetzungen zum Beruf eines Rechtsanwaltes besaß und die Fähigkeit zum Richteramt inne hatte, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr ist anerkannt, daß die Zulassung als Rechtsanwalt nach § 12 BRAO konstitutiven Charakter hat. Wer vor der Zulassung sich als Rechtsanwalt bezeichnet, handelt unbefugt. Im übrigen kann das Begehen einer Straftat nach § 132a StGB – bei rechtskräftiger Verurteilung – einen Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO darstellen, zumindest aber zu einer Aussetzung des Zulassungsverfahrens führen.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben und war nach § 353 StPO aufzuheben.