Bundesgerichtshof negative Feststellungsklage Leistungsklage Parallelverfahren I
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Aktenzeichen:    I ZR 230/85
Verkündet am:
22.01.1987

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

Bundesgerichtshof

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL



Tatbestand

Die Klägerin betreibt den Einzelhandel mit Teppichböden. Der Beklagte ist ein rechtsfähiger Verein mit Sitz in D., der satzungsgemäß unlauteren Wettbewerb bekämpft.

Am 17. November 1984 erschien in der "W. Zeitung" eine Anzeige der Klägerin, die der Beklagte mit Schreiben vom 26. November 1984 als wettbewerbswidrig beanstandete. Die in dem Schreiben geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Klägerin mit Schreiben vom 28. November 1984 abgelehnt. Gleichzeitig forderte sie den Beklagten auf, bis zum 5. Dezember 1984 die Beanstandung zurückzunehmen; anderenfalls werde sie negative Feststellungsklage erheben. Der Beklagte ist der Aufforderung nicht nachgekommen.

Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1984, dem Beklagten zugestellt am 14. Januar 1985, hat die Klägerin Klage erhoben, gerichtet auf die Feststellung, daß dem Beklagten der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zustehe.

Der Beklagte hält die Klage für unzulässig. Er hat mit einem am 31. Januar 1985 zu den Akten gelangten Schriftsatz darauf verwiesen, daß er - was unstreitig ist - am 23. Januar 1985 vor dem Landgericht Düsseldorf eine seiner Abmahnung entsprechende Unterlassungsklage gegen die Klägerin eingereicht habe.

Mit Urteil vom 20. März 1985 hat das Landgericht der vorliegenden Feststellungsklage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 18. Juni 1985 Berufung eingelegt. Vor Begründung dieser Berufung ist (am 21. August 1985) über die Unterlassungsklage in Düsseldorf mündlich verhandelt worden. Mit Urteil vom 4. September 1985 hat das Landgericht Düsseldorf der Unterlassungsklage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin des vorliegenden Verfahrens vor dessen letzter mündlicher Verhandlung Berufung eingelegt.

Mit Urteil vom 24. Oktober 1985 (veröffentlicht in WRP 1986, 349) ist im vorliegenden Verfahren die Berufung des Beklagten zurückgewiesen worden. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.


Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Klage sei zulässig. Zwar beträfen die von der Klägerin erhobene negative Feststellungsklage und die vom Beklagten erhobene Leistungsklage denselben Streitgegenstand. Im Zeitpunkt der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits durch das Landgericht habe jedoch die Klage vor dem Landgericht Düsseldorf noch einseitig zurückgenommen werden können, weil eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden habe; daher habe das Feststellungsinteresse zu jenem Zeitpunkt noch bestanden. Es sei auch für den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht nicht entfallen; denn auch dann, wenn die Leistungsklage - was inzwischen eingetreten sei - nicht mehr einseitig zurückgenommen werden könne, bestehe das Interesse an der Feststellungsklage weiter fort, wenn der Streit über diese entscheidungsreif sei, weil die Klägerin damit einen Ausspruch der von ihr begehrten Rechtsfolge zu einem früheren Zeitpunkt als im Leistungsprozeß erhalte.

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs entfällt, wenn eine auf die Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben wird und diese einseitig nicht mehr zurückgenommen werden kann (BGH, Urt.v. 20.6.1984 - I ZR 61/82, GRUR 1985, 41, 44 - REHAB m.w.N.; vgl. ferner auch RGZ 71, 68, 73; RGZ 151, 65, 69 sowie BGH, Urt. v. 28.6.1973 - VII ZR 200/72, NJW 1973, 1500 m.w.N.). Dies gilt zwar - wie das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht angenommen hat - nicht ohne Ausnahme (vgl. BGH aaO.). Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Ausnahme hat das Berufungsgericht jedoch nicht rechtsirrtumsfrei beurteilt.

a) In der Rechtsprechung ist zwar wiederholt ausgesprochen worden, daß das Feststellungsinteresse dann erhalten bleibt, wenn der Feststellungsrechtsstreit - insbesondere in einer Rechtsmittelinstanz - entscheidungsreif oder im wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten und die Leistungsklage noch nicht entscheidungsreif ist (RG JW 1909, 417, 418; RG WarnRspr. 1916 Nr. 106; BGHZ 18, 22, 42 sowie BGH aaO. NJW 1973, 1500 m.w.N.).

Das Berufungsgericht hat dies dahin verstanden, daß es genüge, wenn die Entscheidungsreife im Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung des Feststellungsverfahrens bestehe; dem Zeitpunkt der Erhebung der Leistungsklage und insbesondere dem für den Wegfall des Feststellungsinteresses maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (BGH aaO. - REHAB m.w.N.), hat das Berufungsgericht keine Beachtung geschenkt. Damit ist es aber dem Sinn und Zweck der Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Leistungs- und Feststellungsklage nicht gerecht geworden. Wie bereits das Reichsgericht (RG JW 1932, 3615; RGZ 151, 69) ausgeführt hat, sollen durch den grundsätzlichen Vorrang des Leistungsverfahrens gegenüber dem Feststellungsverfahren mit gleichem Streitstoff nämlich sowohl widerstreitende Entscheidungen der Gerichte als auch - dies im Hinblick auf das im Interesse der Parteien und der Rechtsprechung wesentliche Erfordernis der Prozeßökonomie - mehrere parallele Verfahren über denselben Streitgegenstand vermieden werden. Beides läßt sich aber - wie auch der vorliegende Fall zeigt - nur erreichen, wenn die Beurteilung, ob das Feststellungsinteresse als Folge einer Leistungsklage entfallen ist, zwar aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung erfolgt (BGH aaO. NJW 1973, 1500), aber maßgeblich auf den Zeitpunkt abstellt, in dem die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (BGH aaO. - REHAB). Nur wenn zu diesem Zeitpunkt der Feststellungsrechtsstreit schon entscheidungsreif ist und es deshalb einer "sinnvollen Prozeßökonomie" (BGHZ 18, 22, 43) widerspräche, den Feststellungskläger auf das gerade erst beginnende Leistungsverfahren zu verweisen, bleibt ausnahmsweise das Feststellungsinteresse erhalten. Anderenfalls entfällt es bereits zu diesem Zeitpunkt mit der Folge, daß sich die Feststellungsklage mit sofortiger Wirkung als unzulässig darstellt. Da das Gericht den Wegfall einer Prozeßvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens zu beachten hat, erweist sich damit auch die Fortführung des Feststellungsprozesses zur Sache als unzulässig, so daß es bei prozeßordnungsmäßiger Verfahrensweise bereits zu diesem Zeitpunkt zum Abschluß des Feststellungsverfahrens kommen muß; die Klage ist, falls der Feststellungskläger sie nicht für in der Hauptsache erledigt erklärt, ohne weiteres Sachverfahren abzuweisen.

b) Wird das Feststellungsverfahren entgegen diesen Grundsätzen zur Sache fortgesetzt, so kann dies auch dann nicht zum Wiederaufleben des Feststellungsinteresses führen, wenn - wie vorliegend - das in dieser Weise weiter betriebene Feststellungsverfahren vor dem parallel geführten Leistungsprozeß in der Sache entscheidungsreif wird.

Für das Gegenteil kann das Berufungsgericht sich entgegen seiner Annahme auch nicht auf die bereits angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. 6. 1973 (NJW 1973, 1500) stützen. Dort ist zwar allgemein gesagt worden, daß ausnahmsweise bei gegebener Entscheidungsreife des Feststellungsverfahrens das Feststellungsinteresse bestehen bleiben kann; doch blieb die hier maßgebliche Frage offen, ob diese Entscheidungsreife bereits in dem Zeitpunkt bestehen muß, in dem die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann, oder ob es genügt, wenn sie als Folge einer über diesen Zeitpunkt hinausgehenden parallelen Prozeßführung dadurch eintritt, daß das Feststellungsverfahren einen - unter Umständen geringen - Zeitvorsprung behält. Letzteres kann nicht angenommen werden, da dann der Zweck der Vermeidung paralleler Prozeßführungen nicht erreichbar wäre. So ergeben auch die Sachverhalte der einschlägigen Entscheidungen sowohl des Reichsgerichts als auch des Bundesgerichtshofes, in denen eine Durchbrechung des Grundsatzes des Wegfalls des Feststellungsinteresses als Folge der Erhebung einer Leistungsklage mit gleichem Streitgegenstand ausgesprochen worden ist, daß die Entscheidungsreife des Feststellungsverfahrens stets schon bestand, als die Leistungsklage erst erhoben bzw. nicht mehr einseitig zurücknehmbar wurde (vgl. RG JW 1909, 417; RG WarnRspr. 1916 Nr. 106; BGH NJW 1968, 50; BGH aaO. LM ZPO § 256 Nr. 102 = NJW 1973, 1500).

2. Von diesen Fallgestaltungen unterscheidet der vorliegende Fall sich dadurch, daß die Leistungsklage bereits wenige Wochen nach der Feststellungsklage eingereicht worden ist (17. Dezember 1984 bzw. 23. Januar 1985); die Tatsache ihrer Einreichung ist ebenfalls bereits bald danach schriftsätzlich zu diesem Verfahren mitgeteilt worden (31. Januar 1985). Zwar hat das Landgericht über die Feststellungsklage schon zu einem Zeitpunkt entschieden, als über die Leistungsklage noch nicht mündlich verhandelt, diese also noch einseitig zurückzunehmen war. Als dann aber die mündliche Verhandlung über die Leistungsklage stattfand, war die mittlerweile im Feststellungsverfahren eingelegte Berufung noch nicht begründet, der Feststellungsrechtsstreit also, da der Tatsachenstoff für das Berufungsverfahren überhaupt noch nicht vorgetragen war, in der Sache jedenfalls noch nicht entscheidungsreif, so daß die Feststellungsklage entsprechend den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BGH aaO. - REHAB) mangels Feststellungsinteresses unzulässig wurde.

Für eine rechtsmißbräuchliche Erhebung der Leistungsklage, die ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse für diese entfallen und das Feststellungsinteresse infolgedessen bestehen lassen könnte (vgl. RG JW 1936, 3185), sind im vorliegenden Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich.

III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Feststellungsklage ist in Abänderung des landgerichtlichen Urteils als unzulässig abzuweisen.