Bundesgerichtshof Ehrenschutzklage, Rechtsschutzbeduerfnis; Rechtsschutzinteresse, beleidigende Aeusserung, Beleidigung, Verletzung der Ehre
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Aktenzeichen:    VI ZR 169/91
Verkündet am:
17.12.1991

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

Bundesgerichtshof

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL



Amtlicher Leitsatz:

Für eine Ehrenschutzklage fehlt jedenfalls dann nicht unter dem Blickpunkt der Ermöglichung sachgerechten Prozeßvortrags in einem anderen Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die ehrenkränkende Äußerung außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung in Rundschreiben oder ähnlichen an die Öffentlichkeit gerichteten Aktionen aufgestellt worden ist.

Tatbestand:

Der Beklagte, ein Kassenarzt, prangert seit Jahren in Eingaben und Rundschreiben die Überprüfung der kassenärztlichen Abrechnung auf ihre Wirtschaftlichkeit durch die Klägerin zu 1), die Kassenärztliche Vereinigung N., aufgrund einer statistischen Vergleichsmethode als fehlerhaft an. Der Kläger zu 2) (Dr. Sch.) ist Vorsitzender der Klägerin zu 1), der Kläger zu 3) (Dr. Z.) ist Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in K. und der Kläger zu 4) (K.) Leiter des Rechenzentrums der Klägerin zu 1).

Die Kläger verlangen vom Beklagten Unterlassung verschiedener ehrenkränkender Äußerungen, welche sie den an Ärzte gerichteten Rundschreiben des Beklagten vom 3. Mai 1986, Oktober 1986, 1. September 1987 und 18. Juni 1988 entnehmen. Im Schreiben vom 3. Mai 1986 heißt es auszugsweise:

"Bereits hieraus läßt sich mit Sicherheit der Schluß ziehen, daß die Statistiken nicht irrtümlich Fehler aufwiesen, sondern daß diese Statistiken planmäßig gefälscht werden. Da die Fälschungen in ähnlicher Weise sämtliche KVen der Bundesrepublik betreffen, ist erwiesen, daß die Statistiken zentral gesteuert gefälscht werden. Es muß somit ein Steuerungszentrum der Rechenzentren der einzelnen KVen geben. Mittels dieser gefälschten Statistiken werden jährlich durch Regresse bzw. Vorwegabzüge in den Quartalsabrechnungen niedergelassenen Ärzten bundesweit Beträge in Milliardenhöhe entzogen. Auch im Bereich der KV K. dürfte es sich um viele Millionen DM handeln. Dies geschieht nicht irrtümlich sondern durch Fälschung, Betrug und Unterschlagung.

Diese Erkenntnisse werfen folgende Fragen auf:

Wer ist das Steuerungszentrum der einzelnen Rechenzentren der KVen?

Erfolgen die Fälschungen im Einverständnis mit dem Vorstand der KV oder haben sich die Rechenzentren selbständig gemacht?

Wohin fließen die unterschlagenen Milliarden ab?

Hat der Vorstand der KV N., der jetzt die Korrektur der Statistik veranlaßt, die gleichen Personen beauftragt, die bisher die Statistik verfälschten?

Werden die jetzt nachweisbaren Fälschungen der Statistik, die für den Bereich N. im Rechenzentrum M. erstellt werden, im Einverständnis mit dem Vorstand der KV N. gefälscht?

Wir müssen deswegen Betrug, Fälschung und Unterschlagung sorgfältig aufklären und endgültig abstellen."

Im Schreiben vom 18. Juni 1988 heißt es u.a.:

"Herrn K. wird zur Last gelegt, daß er wissentlich seit 1979 grob fehlerhafte Statistiken der Fachgruppendurchschnittswerte, die den Prüfbescheiden zugrunde gelegt werden, erstellt hat. Er hat hiermit die Gutachter, die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse fehlgesteuert und die Fehlentscheidungen der Prüforgane der KV vorprogrammiert.

Die Herren Dr. Z. und Dr. Sch. wurden bereits 1984 über die Unregelmäßigkeiten in der KV informiert. Die Herren haben eine Klärung der Sachlage verschleppt, obwohl der Vorwurf der Fälschung, des Betrugs und der Unterschlagung, als mögliche Folgerung aus dem Gutachten Dr. B. Universität K. Anlaß zu einer schnellen Klarstellung hätten sein müssen...."

Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen den Parteien ist die Kürzung der kassenärztlichen Honorare des Beklagten wegen Unwirtschaftlichkeit durch die Klägerin zu 1). Die hiergegen gerichteten Widersprüche des Beklagten hatten nur teilweise Erfolg. Seine anschließende Klage ist vom Sozialgericht K. mit Urteil vom 26. Oktober 1988 abgewiesen worden. Hiergegen hat der Beklagte Berufung eingelegt.

Nachdem der Antrag der Kläger auf einstweilige Verfügung erfolglos geblieben ist, erstreben sie nunmehr im Hauptverfahren die Verurteilung des Beklagten, folgende Äußerungen außerhalb eines Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahrens zu unterlassen:

a) Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung N., Dr. Sch., der Vorsitzende der Abrechnungsstelle K. der Kassenärztlichen Vereinigung N., Dr. Z., und der Leiter des Rechenzentrums der Kassenärztlichen Vereinigung N. in M., K., sowie die Vorsitzenden der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse der RVO- und Ersatzkassen der Kassenärztlichen Vereinigung N. in den Jahren 1984 bis 1988 hätten ihre Dienstfunktionen mißbraucht und sich grob unkollegial verhalten.

b) Herr K. habe seit 1979 wissentlich grob fehlerhafte Statistiken der Fachgruppendurchschnittswerte erstellt, damit die Gutachten und die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse fehlgesteuert und die Fehlentscheidungen der Prüforgane der KV vorprogrammiert sind.

c) Die Kassenärztliche Vereinigung N. und die Herren Dr. Sch., Dr. Z. und K. hätten gefälscht, betrogen und unterschlagen.

d) Die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung N. und der Abrechnungsstelle K., Dr. Sch. und Dr. Z., hätten von der Möglichkeit einer schnellen Klarstellung keinen Gebrauch gemacht und damit den Gutachtern der Prüfungsgremien zugemutet, auf einer sehr fragwürdigen Basis Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen und den Kollegen, sich solchen Prüfungen zu unterziehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist zurückgewiesen worden. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.



Entscheidungsgründe


I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klage aus mehreren Gründen keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht führt aus, soweit die Kläger zu Nr. 1 c) ihres Antrags meinten, im Schreiben vom 18. Juni 1988 sei die Klägerin zu 1) der Fälschung, des Betrugs und der Unterschlagung beschuldigt worden, treffe ihr Verständnis des Schreibens nicht zu. Die Vorwürfe seien auch nicht gegen die im Schreiben namentlich genannten Kläger zu 2) und 3) erhoben worden. Auch eine Gesamtschau sämtlicher Schreiben führe nicht zur Annahme, der Beklagte habe den Klägern angelastet, sie hätten gefälscht, betrogen und unterschlagen. Im Schreiben vom 3. Mai 1986 werde aus der Frage nach dem Steuerungszentrum der einzelnen Rechenzentren deutlich, daß der Beklagte gerade erst klären wolle, ob und wie die Kläger an dem von ihm behaupteten Mißstand beteiligt seien. In den Schreiben vom Oktober 1986 und 1. September 1987 fänden sich die beanstandeten Worte Fälschung, Betrug und Unterschlagung weder ausdrücklich noch ergebe sich ein derartiger Vorwurf gegenüber den Klägern aus dem Zusammenhang. Die genannten Schreiben seien sämtlich an Ärzte gerichtet, von denen aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer eigenen Betroffenheit von den Vorgängen erwartet werden könne, daß sie die Schreiben sorgfältig lösen und nicht etwa einzelne in den Schreiben enthaltene Worte unkritisch auf sämtliche namentlich genannten Personen oder Körperschaften bezögen.

Im übrigen scheitere der Unterlassungsanspruch insgesamt daran, daß der gesamte Inhalt der beanstandeten Schreiben in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit anhängigen oder beabsichtigten Gerichts- oder Verwaltungsverfahren stehe. Gegenüber dem Vorbringen einer Partei, das der Rechtsverfolgung oder -verteidigung diene, könne der hierdurch in seiner Ehre Betroffene in der Regel nicht im Klageweg Widerruf oder Unterlassung fordern. Das gelte auch für den vorliegenden Fall, in welchem die Besonderheit darin bestehe, daß die beanstandeten Äußerungen außerhalb eines Verfahrens gegenüber Dritten erfolgt seien. Der Adressatenkreis, demgegenüber in Wahrnehmung berechtigter Verfahrensinteressen ehrverletzende Behauptungen aufgestellt werden könnten, ohne daß dies einen Unterlassungsanspruch begründe, sei nicht auf die formale Stellung der am Verfahren Beteiligten zu begrenzen. Vielmehr sei im Einzelfall auf die Schwere des Eingriffs und die Nähe des Adressatenkreises zum Verfahrensgegenstand abzustellen. Je erheblicher der Eingriff sei, desto enger müsse der Adressatenkreis gezogen werden, gegenüber welchem die Ausschlußregel durchgreife; je weiter entfernt das sachliche Interesse der Adressaten sei, desto weniger schwere Eingriffe könnten hingenommen werden. Da die gerügten Äußerungen - mit Ausnahme der bereits aus tatsächlichen Gründen ausscheidenden Vorwürfe gemäß Nr. 1 c) des Klageantrags - nicht besonders gravierend und die angesprochenen Ärzte ebenfalls vom Gegenstand des Parteienstreits - nämlich der Richtigkeit der Statistik - betroffen seien, komme ein Unterlassungsanspruch nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung der Kläger sei der zivilrechtliche Ehrenschutz auch nicht "teilbar" dahingehend, daß dem Beleidiger verboten werden könne, die ehrverletzende Behauptung außerhalb eines geordneten Verfahrens aufzustellen. Lasse man eine Teilung des Ehrenschutzes in diesem Sinn zu, so bestehe die Gefahr, daß das gleiche Vorbringen im laufenden ober beabsichtigten Verfahren entwertet werde. Das Gericht des Erstverfahrens oder des beabsichtigten Verfahrens sei nämlich in seiner Entscheidung nicht mehr frei, wenn in dem Unterlassungs- bzw. Widerrufsverfahren über die Wahrheit der beanstandeten Äußerungen oder darüber entschieden würde, ob sie durch die Grundsätze des Rechts auf freie Meinungsäußerung oder durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt seien. Es solle jedoch jeglicher Einfluß vermieden werden.

Schließlich erachtet das Berufungsgericht - mit Ausnahme der aus tatsächlichen Gründen ausscheidenden Vorwürfe gemäß Nr. 1 c) des Klagantrags - die fraglichen Äußerungen des Beklagten sämtlich für Werturteile. Kriterium zur Abgrenzung gegenüber einer Tatsachenbehauptung sei, daß die Äußerungen durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt und deshalb als Werturteil einzustufen seien. Das gelte auch dann, wenn sich diese Elemente wie häufig - mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder Behauptung verbänden oder vermischten, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen ließen oder der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund trete. Deshalb seien die Äußerungen des Beklagten jedenfalls durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht durchweg stand.

1. Erfolglos bekämpft die Revision zum Klagantrag Nr. 1 c) die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach den oben erwähnten Schreiben des Beklagten nicht der Vorwurf zu entnehmen sei, die Kläger hätten gefälscht, betrogen und unterschlagen. Diese Auslegung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

Insbesondere hält die tatrichterliche Würdigung der beanstandeten Äußerungen der Revisionsrüge stand, das Berufungsgericht habe den suggestiven Charakter verkannt, mit welchem ein Zusammenhang zwischen den Klägern und den beanstandeten Fälschungen hergestellt werden solle. Das Berufungsgericht hat zwar die von der Revision insoweit herangezogenen Passagen des Schreibens vom 3. Mai 1986 sowie die anderen Schreiben nicht ausdrücklich im einzelnen gewürdigt, jedoch aus dem Gesamtzusammenhang der Schreiben den Eindruck gewonnen, daß die mehrfach aufgeworfene Frage, wer für die Fälschungen verantwortlich sei, den Schwerpunkt der Schreiben bilde. Dabei werde die Frage nach dem Urheber der Fälschungen zwar gestellt, aber nicht in einem die Kläger belastenden Sinn beantwortet. Diese Bewertung des Aussagegehalts durch den Tatrichter ist möglich, zumal nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht auf einzelne, aus dem Zusammenhang herausgelöste Formulierungen abzuheben, sondern die Gesamtbetrachtung durch einen unbefangenen Leser maßgeblich ist (Senatsurteile vom 30. Mai 1978 VI ZR 117/76 - NJW 1978, 1797, 1798; vom 12. Februar 1985 VI ZR 225/83 - VersR 1985, 592, 593 und vom 11. Juli 1989 VI ZR 255/88 - VersR 1989, 1048, 1049) [BGH 11.07.1989 - VI ZR 255/88]. Die bloße Möglichkeit von Mißverständnissen braucht insbesondere nicht durch klärende Zusätze ausgeschlossen zu werden (Senatsurteil BGHZ 78, 9, 14 ff.).

Es kann auch dahinstehen, ob das Berufungsgericht, wie die Revision meint, mit dem Verständnis eines Adressatenkreises mit bestimmter Vorbildung und bestimmtem Problembezug einen zu engen Beurteilungsmaßstab gewählt hat. Die Frage nach dem Urheber der Fälschungen etc. ist von einem durchschnittlichen Leser mit durchschnittlicher Lesesorgfalt nämlich nicht anders zu verstehen als von einem möglicherweise an der Sache interessierten Arzt, so daß die von der Revision bezweifelte Auffassung des Berufungsgerichts, wonach Ärzte bei Betroffenheit in eigener Sache sorgfältiger zu lesen pflegten als der Durchschnittsleser, dahinstehen kann.

2. Zu Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach der Unterlassungsanspruch bezüglich der Anträge zu Nr. 1 a), b) und d) schon daran scheitere, daß der gesamte Inhalt der beanstandeten Schreiben in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit anhängigen bzw. beabsichtigten Gerichts- oder Verwaltungsverfahren stehe.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Verteidigung in einem Gerichtsverfahren dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden können. Wie der erkennende Senat schon mehrfach entschieden hat (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 1977 - VI ZR 111/75 - NJW 1977, 1681, 1682; vom 10. Juni 1986 - VI ZR 154/85 - NJW 1986, 2502, 2503 und vom 13. Oktober 1987 VI ZR 83/87 - VersR 1988, 379, 380; ebenso BGH, Urteil vom 9. April 1987 - I ZR 44/85 - ZIP 1987, 1081, 1082 f. Gegenangriff), soll das sog. Ausgangsverfahren nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden. Mit den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es nämlich unvereinbar, wenn die Kompetenzen des Gerichts des Ausgangsverfahrens durch die Möglichkeit einer Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem gesonderten Prozeß vor einem anderen Gericht unterlaufen werden könnten. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis. Unbedenklich ist auch, daß das Berufungsgericht diese Grundsätze für Verfahren vor Verwaltungsbehörden ebenfalls anwendet (Senatsurteile vom 13. Juli 1965 VI ZR 70/64 - NJW 1965, 1803 [BGH 13.07.1965 - VI ZR 70/64] und vom 3. Dezember 1968 VI ZR 140/67 - VersR 1969, 256, 257; ebenso BGH, Urteil vom 9. April 1987 aaO und vom 14. Januar 1965 - KZR 9/63 - GRUR 1965, 381, 385 - Weinbrand).

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können die aufgezeigten Grundsätze den Ausschluß von Ehrenschutzklagen jedoch nicht rechtfertigen, wenn die beanstandete Äußerung - wie im vorliegenden Fall - in Rundschreiben und ähnlichen Aktionen zur Durchsetzung von Interessen außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung aufgestellt wird. Das Berufungsgericht hat die Ausschlußregel durchgreifen lassen, weil die mangelnde Schwere des Eingriffs (Ehrverletzung) einerseits und die Nähe des Adressatenkreises zu den beanstandeten Äußerungen andererseits es rechtfertige, auch gegenüber solchen Äußerungen in gleicher Weise wie bei Äußerungen im Prozeß eine besondere Ehrenschutzklage zu versagen. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Insbesondere kann sich das Berufungsgericht nicht darauf stützen, daß eine Ehrenschutzklage auch dann ausgeschlossen sei, wenn sich die ehrenkränkenden Äußerungen gegen einen nicht am Verfahren beteiligten Dritten richteten. Soweit der erkennende Senat in seinem Urteil vom 14. November 1972 VI ZR 102/71 - LM BGB § 823 Ah. Nr. 46 hierauf abgehoben hat, lag dem ein anderer Sachverhalt zugrunde; dort ging es um negatorische Ansprüche gegen ehrenkränkende Äußerungen über einen Dritten in einem Prozeß. In derartigen Fällen greift das Ehrenschutzverfahren in die Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung der am Ausgangsverfahren Beteiligten unmittelbar ein. Wie oben aufgezeigt, soll die Möglichkeit zu umfassendem Prozeßvortrag nämlich nicht dadurch beschnitten werden, daß in bezug auf diesen Vortrag Ehrenschutzklagen erhoben werden können. Dieser Grundsatz kann nicht auf Äußerungen angewendet werden, mit denen der Äußernde in einer außergerichtlichen Kampagne an die Öffentlichkeit tritt. Der Ausschluß der Ehrenschutzklage gegenüber dem Prozeßgegner stellt sich nämlich als einschneidende Beschränkung des Ehrenschutzes dar, die nur mit der besonderen Interessenlage anläßlich eines oder im Hinblick auf ein bevorstehendes gerichtliches oder behördliches Verfahren gerechtfertigt werden kann. Das Interesse des Äußernden daran, seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem anhängigen oder künftigen Verfahren führen oder vorbereiten zu können, ohne sich damit einem Ehrenschutzverfahren auszusetzen, ist nicht betroffen, wenn er mit solchen Beschränkungen für eine Verfolgung seiner Angelegenheit außerhalb eines Verfahrens in einer öffentlichen Kampagne durch öffentliche Angriffe, Rundschreiben und Ähnliches belastet wird.

Soweit das Berufungsgericht zur Begründung seiner abweichenden Auffassung darauf abhebt, daß der Ehrenschutz nicht "teilbar" sein könne je nach dem Empfänger, demgegenüber ein Widerruf erklärt oder die Unterlassung einer Äußerung erfolgen soll (so Helle, GRUR 1982, 207, 220), ist dem entgegenzuhalten, daß die Notwendigkeit, die im Ausschluß der Ehrenschutzklage liegende Beschränkung des Ehrenschutzes in engen Grenzen zu halten, in der Tat dazu zwingt, das Rechtsschutzinteresse für eine Ehrenschutzklage unterschiedlich zu beurteilen. So wird man vorliegend dem Beklagten nicht untersagen können, die beanstandeten Äußerungen in einem Prozeß oder zur Vorbereitung desselben vorzutragen (was die Kläger auch nicht verlangen), während er sie in einer öffentlichen Kampagne der beschriebenen Art nicht einsetzen darf. Ähnlich hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 3. Dezember 1968 - VI ZR 140/67 - VersR 1969, 256, 258 das Klagebegehren hinsichtlich gegenüber Dritten aufgestellten Äußerungen zugelassen, während er es gegenüber einem Verfahrensbeteiligten an den aufgezeigten Grundsätzen hat scheitern lassen.

Deshalb kann für die Klageanträge Nr. 1 a), b) und d) entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts das erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht verneint werden.

3. Gleichwohl erweist sich die Revision auch hinsichtlich der Klageanträge zu Nr. 1 a) und d) als unbegründet, weil der Beklagte für seine Äußerungen, die ihm durch diese Anträge verboten werden sollen, Art. 5 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen kann.

Soweit die Revision rügt, daß das Berufungsgericht die mit den Klaganträgen Nr. 1 a), b) und d) beanstandeten Äußerungen fehlerhaft nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Werturteile eingestuft habe, welchen im Hinblick auf das nach Abwägung der Umstände des Einzelfalles hier vorrangige Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mit der Unterlassungsklage begegnet werden könne, hat sie nur bezüglich des Antrags Nr. 1 b) Erfolg.

a) Die revisionsrechtlich zulässige Nachprüfung, ob das Berufungsgericht den Aussagecharakter der Äußerungen richtig erfaßt und insbesondere zutreffend zwischen Tatsachenbehauptungen und subjektiven Meinungen unterschieden hat (Senatsurteile vom 12. Februar 1985 - VI ZR 225/83 - VersR 1985, 592, 593 und vom 20. Mai 1986 - VI ZR 242/85 - VersR 1986, 992, 993), ergibt nämlich, daß es sich lediglich bei der dem Klageantrag Nr. 1 b) zugrundeliegenden Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handelt. Äußerungen sind auch dann, wenn sie auf Werturteilen beruhen, als Tatsachenbehauptungen einzustufen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Entscheidend ist deshalb der Zusammenhang, in welchem der Vorwurf erhoben wird (Senatsurteile vom 30. Mai 1974 VI ZR 174/72 - LM § 824 BGB Nr. 18 m.w.N.; vom 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - VersR 1982, 906, 907; vom 12. Mai 1987 - VI ZR 195/86 - VersR 1987, 1016, 1017 und vom 11. Juli 1989 - VI ZR 255/88 - VersR 1989, 1048 [BGH 11.07.1989 - VI ZR 255/88]). Nach diesem Maßstab hat die mit dem Klageantrag Nr. 1 b) beanstandete Äußerung einen nachprüfbaren Tatsachengehalt, weil sie den Vorwurf betrifft, der Kläger zu 4) habe seit 1979 wissentlich grob fehlerhafte Statistiken erstellt, und zwar näher bezeichneten Zweck. Ob das zutrifft oder nicht, kann mit dem Mitteln des Beweises überprüft werden.

Durch diese Äußerung ist allerdings lediglich der Kläger zu 4) betroffen, nicht hingegen die Klägerin zu 1) oder deren Organe. Aus dem in der Äußerung mitgeteilten Zweck, zu welchem der Kläger zu 4) angeblich falsche Statistiken erstellt, ergibt sich nämlich nur, daß nach Auffassung des Beklagten die Klägerin zu 1) bzw. ihre Organe irregeführt ("fehlgesteuert") werden sollen, um sodann fehlerhafte Entscheidungen zu treffen. Hingegen ist der beanstandeten Äußerung nicht der Vorwurf zu entnehmen, daß die Klägerin zu 1) oder ihre Organe das angebliche Fehlverhalten des Klägers zu 4) kennen oder billigen. Anders als bei dem dem Senatsurteil vom 16. November 1982 - VI ZR 122/80 - NJW 1983, 1183 [BGH 16.11.1982 - VI ZR 122/80] zugrundeliegenden Sachverhalt zielt auch die Stoßrichtung dieser Äußerung nicht auf die Klägerin zu 1) als hinter dem Kläger zu 4) stehende Anstellungskörperschaft, sondern es wird dem Kläger zu 4) vorgeworfen, die Klägerin zu 1) absichtlich falsch zu informieren. Damit ist ein Vorwurf gegen diese selbst oder ihre Organe jedoch nicht verbunden.

b) Handelt es sich mithin beim Klageantrag Nr. 1 b) um eine den Kläger zu 4) beeinträchtigende Tatsachenbehauptung, so stellen demgegenüber die mit den Klageanträgen Nr. 1 a) und d) beanstandeten Äußerungen nach den oben aufgezeigten Grundsätzen bloße Werturteile dar.

Der Vorwurf eines Mißbrauchs der Dienstfunktionen und grob unkollegialen Verhaltens (Nr. 1 a) findet ebenso wie die Äußerung, die Kläger zu 2) und 3) hätten von der Möglichkeit schneller Klarstellung keinen Gebrauch gemacht und damit Dritten etwas zugemutet (Nr. 1 d), keine Konkretisierung in einem Tatsachensubstrat. Das wäre jedoch erforderlich, um die Äußerungen, die dem Beklagten verboten werden sollen, für den Adressaten nicht nur als (subjektive) Mißbilligung eines Vorgehens der Kläger durch den Beklagten, sondern als mit den Mitteln des Beweises nachprüfbare Mitteilung über dieses Vorgehen selbst erscheinen zu lassen.

Es reicht nicht aus, daß den einzelnen Rundschreiben konkrete Vorgänge entnommen werden können - was beim Klageantrag Nr. 1 d) ohnehin zweifelhaft ist -, die möglicherweise geeignet sind, die in den Anträgen enthaltenen Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht auszufüllen und ggf. auch einer Beweiserhebung zugänglich zu machen. Die rechtliche Würdigung hat sich an den Aussagen auszurichten, die dem Beklagten verboten werden sollen und die insoweit durch die Klageanträge herausgehoben und begrenzt sind. Diese betreffen hier Passagen aus den Rundschreiben mit ausschließlich wertendem Gehalt ohne tatsächliches Substrat.

Handelt es sich folglich um lediglich wertende Äußerungen, so sind sie, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt, da sie sich innerhalb der durch diese Verfassungsvorschrift gesetzten Schranken bewegen und insbesondere nicht als diffamierende Schmähkritik angesehen werden können (Senatsurteil vom 12. Mai 1987 aaO). Vom Standpunkt eines das statistische Vergleichsverfahren ablehnenden Kassenarztes, der hierdurch die ärztliche Versorgung seiner Patienten gefährdet sieht und dagegen öffentlich ins Feld zieht, erscheint die hier in Frage stehende Problematik zwar scharf, aber auch unter Berücksichtigung des Schutzinteresses der Kläger als einer Meinungsbildung in der Öffentlichkeit adäquat.

III.

Deshalb hat die Revision nur hinsichtlich des Klageantrags Nr. 1 b) Erfolg. Sollte sich herausstellen, daß dieser zur Beeinträchtigung des Ansehens des Klägers zu 4) geeignete Vorwurf unwahr ist, so stünde diesem ein Unterlassungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 1004 BGB i.V. mit § 823 Abs. 2 BGB, § 186 StGB zu, weil an der Wiederholung einer unwahren Behauptung kein berechtigtes Interesse besteht (Senatsurteile vom 3. Juni 1975 - VI ZR 123/74 - VersR 1975, 946, 947 und vom 27. Mai 1986 - VI ZR 169/85 - VersR 1986, 1075, 1077).

Da das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus folgerichtig keine Feststellungen über die Wahrheit oder Unwahrheit des Vorwurfs getroffen hat und sich die Unwahrheit entgegen der Auffassung der Revision auch nicht bereits aus dem Urteil des Sozialgerichts K. vom 26. Oktober 1988 ergibt, ist die Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.