Oberlandesgericht Nürnberg Upskirting nicht strafbar
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Aktenzeichen: 1 St OLG Ss 219/10
03. November 2010

Oberlandesgericht Nürnberg

Beschluss

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Juli 2010 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

II. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 10.3.2010 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Euro 85,-- verurteilt.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Nürnberg-Fürth am 7.7.2010 als unbegründet verworfen.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth aufzuheben und ihn freizusprechen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344 Abs. 1, 345 StPO) und hat in der Sache Erfolg.

1. Das Urteil des Landgerichts leidet an einem durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt bereits nicht den objektiven Deliktstatbestand des § 185 StGB.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 6.8.2009 gegen 10.20 Uhr in der K a ... in Nürnberg vom Untergeschoß mit einer Rolltreppe zur Bahnhofshalle hinauf. Während der Fahrt hielt er sein Mobiltelefon unter den Rock der Geschädigten E, um Bildaufnahmen zu fertigen. Dabei habe er zumindest billigend in Kauf genommen, dass sich die Geschädigte hierdurch in ihrer Ehre verletzt fühlte.

b) Dies belegt nicht das Vorliegen der Voraussetzungen einer strafbaren Beleidigung. Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 5.10.2010 ausgeführt:

"Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte sein Mobiltelefon unter den Rock der Geschädigten hielt, um Bildaufnahmen zu fertigen (BU Bl. 2, letzter Absatz; Bl. 3, 4. Absatz). Nach den Gesamtumständen wollte er dies heimlich tun; die von der Geschädigten geschilderte Berührung mit dem Handy an ihrer Kniekehle erfolgte offensichtlich unbeabsichtigt. Beweismittel, die das Gegenteil belegen könnten, sind jedenfalls nicht vorhanden.

Damit ist der Straftatbestand des § 185 StGB aber noch nicht erfüllt. Sexuelle oder sexualbezogene Handlungen und Belästigungen fallen nur dann unter diese Vorschrift, wenn besondere Umstände einen selbständigen beleidigenden Charakter erkennen lassen; es kann nicht ein (bloßes) "sexuelles Verhalten" als Ehrverletzung bestraft werden, sondern allein eine darin unter Umständen enthaltene (ausdrückliche und konkludente) Äußerung, in der eine – vom Täter gewollte – herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. 2010, § 185 Rdnrn. 11, 11 a). Demzufolge wird eine Beleidigung als nicht gegeben angesehen bei bloßen Belästigungen oder Taktlosigkeiten und regelmäßig nicht bei (sexuell motiviertem) heimlichen Beobachten oder Belauschen (vgl. Fischer aaO. § 185 Rdnr. 11 c). Mit letzterer Fallgestaltung ist vorliegender Fall vergleichbar. Nur erfolgte hier das Beobachten nicht unmittelbar, sondern mittelbar unter Zuhilfenahme eines Mobiltelefons. Der auf Heimlichkeit bedachte Angeklagte wollte gerade keinen Kontakt zur Person der Geschädigten aufnehmen und gab deshalb dieser gegenüber nicht (auch nicht konkludent) seine Missachtung kund.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Strafkammer zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (richtige Fundstelle: NJW 2003, 1263). Dort war der Angeklagte auf offener Straße der ihm völlig unbekannten Geschädigten entgegen getreten, versuchte dieser an das Geschlechtsteil zu greifen und äußerte dabei "macht doch nichts". Damit hat er nach außen zu Tage tretend tätlich und verbal kund getan, dass das Opfer dem Kreis derjenigen Personen zuzurechnen ist, von denen ein solches Verhalten akzeptiert wird und mit denen man so etwas – nämlich eine öffentliche Bloßstellung – machen kann. Davon unterscheidet sich hiesiger Sachverhalt grundlegend."

c) Dem tritt der Senat bei und weist ergänzend darauf hin, dass derjenige, der andere Personen zum Objekt seines heimlichen voyeuristischen Vorgehens erwählt, damit regelmäßig nicht gleichzeitig auch nur konkludent kundgibt, der oder die Betroffene weise einen ihre Ehre mindernden Mangel an personalem Geltungswert auf (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 185 Rn. 31 sowie zu vergleichbaren Fallkonstellationen von Voyeurisms OLG Düsseldorf NJW 2001, 3562 (3563); LG Darmstadt NStZ-RR 2005, 140).

Die Funktion der Beleidigungsdelikte ist es nicht, Lücken zu schließen, die moralisches Empfinden nicht hinnehmen möchte. § 185 StGB ist insbesondere kein »Auffangtatbestand«, der es erlauben würde, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sittlichkeitsdelikts nahekommen (vgl. BGHSt 36, 145 (149); OLG Zweibrücken NJW 1986, 2960 (2961); Hilgendorf aaO., § 185 Rn. 31). Zu einer Änderung dieser Rechtslage ist allein der Gesetzgeber befugt.

2. Ob die erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen durchgreifen, bedarf bei dieser Sachlage keiner Entscheidung.

III.

Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 StPO) und der Angeklagte freizusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.