Rechtsanwalt Ralf Möbius

Beleidigung

Der Tatbestand der Beleidigung ist erschreckend schlicht gehalten und gibt nicht nur dem durchschnittlich juristisch vorgebildeten Leser keinen genauen Anhaltspunkt, was eine Beleidigung inhaltlich eigentlich bedeutet, denn das Gesetz enthält schlicht keine Definition der Beleidigung. Das Strafgesetzbuch bestimmt lediglich folgendes:

§ 185 StGB

Beleidigung

Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

In der polizeilichen Statistik wurden 2016 insgesamt 234.341 Ehrdelikte erfasst, was vier Prozent aller gemeldeten Straftaten ausmacht. Es handelt sich bei der Beleidigung aufgrund des Strafrahmens um ein Vergehen. Neben den spezielleren Tatbeständen der üblen Nachrede (§ 186 StGB) und der Verleumdung (§187 StGB) stellt es ein Ehrdelikt da, das die Äußerung oder Verbreitung herabwürdigender Tatsachenbehauptungen bestraft und damit die persönliche Ehre des Einzelnen schützt. Das geschützte Rechtsgut der persönlichen Ehre steht dabei im Konflikt zu dem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Da es sich bei § 185 StGB um ein allgemeines Gesetz handelt, kann es die Meinungsfreiheit in zulässiger Weise einschränken. Dabei hat aber regelmäßig eine Abwägung zwischen den beiden Rechtsgütern zu erfolgen, Damit sind die Gerichte vor eine große Herausforderung bei einem auf den ersten Blick einfachen Straftatbestand gestellt. Der Verurteilung durch ein Gericht ist regelmäßig eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorgeschaltet, wobei der Wesensgehalt der Meinungsfreiheit nicht angegriffen werden darf.

I. Bestimmtheit

Da der Straftatbestand der Beleidigung keine Definition liefert, was unter Beleidigung genau zu verstehen ist, muss zunächst die Frage des verfassungsmäßig bedeutsamen Bestimmtheitsgebots betrachtet werden. Dass jede Norm hinreichend bestimmt sein muss folgt aus § 103 Abs. 2 GG. Strafrechtliche Normen müssen nach dem Bestimmtheitsgebot so konkret sein, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Tatbestandes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Sinn und Zweck ist zum einen, dass der Gesetzgeber selbst die normativen Voraussetzungen der Bestrafung festlegt und der Richter nur über das Vorliegen dieser zu entscheiden hat im Rahmen seines Ermessens. Zum anderen soll für den Einzelnen vorhersehbar sein, welches Verhalten unter Strafe gestellt ist. Trotz des Mangels auch nur einer ansatzweisen Definition der Beleidigung hält das Bundesverfassungsgericht die Strafvorschrift für hinreichend bestimmt und führt dazu folgendes aus:

„§ 185 StGB ist auch nicht zu unbestimmt und verstößt damit nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Zwar unterscheidet er sich von den übrigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs dadurch, daß er den Straftatbestand lediglich mit dem Begriff der Beleidigung benennt, aber nicht näher definiert. Auch wenn das für eine unter der Geltung des Grundgesetzes erlassene Strafvorschrift als unzureichend anzusehen sein sollte, hat der Begriff der Beleidigung jedenfalls durch die über hundertjährige und im wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt, der den Gerichten ausreichende Vorgaben für die Anwendung an die Hand gibt und den Normadressaten deutlich macht, wann sie mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen haben (vgl. BVerfGE 71, 108 [114 ff.])...“

Die Bestimmtheit der Strafvorschrift ergibt sich damit also nicht aus der Vorschrift selbst, sondern aus jahrelanger Rechtsprechung, die das strafrechtliche Verhalten mit Inhalt gefüllt hat. Dass die Unbestimmtheit einer Strafvorschrift dadurch geheilt werden kann, dass diese trotz mangelnder Bestimmtheit über 100 Jahre angewandt wurde, begegnet zumindest bei Gerichten keinerlei durchgreifenden Zweifeln, so dass der Straftatbestand der Beleidigung ohne weitere Bedenken regelmäßig von den deutschen Strafgerichten zur Grundlage von Bestrafungen gemacht wird.

II. Die Kollektivbeleidigung

Immer wieder diskutiert wird, ob die Verwendung der Buchstabenkombination „ACAB“, die für „All Cops Are Bastards“ steht, strafrechtlich als Beleidigung zu bewerten ist. Insbesondere bei Fußballspielen werden Banner mit der Aufschrift präsentiert oder sind auf Kleidungsstücken der Fans abgedruckt. Die Frage, die sich insoweit stellt, ist die, ob die Polizei als Gemeinschaft beleidigungsfähig ist bzw. die Beleidigung auf die persönliche Ehre des Einzelnen durchschlägt. Abzugrenzen sind dabei folgende Konstellationen: Der Einzelne kann unter Verwendung einer Kollektivbezeichnung beleidigt werden, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass nur er gemeint ist. Wenn der Kunde bei seinem Friseur zu seiner Begleiterin sagt: „Wusste ich doch: Alle Friseure sind Dummköpfe!“. In diesem Fall ist klar erkennbar, dass sich die Beleidigung nicht auf alle Friseure beziehen soll, sondern eben auf seinen Friseur. Es liegt eine Individualbeleidigung vor. Daneben können einzelne Angehörige eines Kollektivs unter einer Sammelbezeichnung beleidigt werden. Soweit es sich um eine kleine, abgrenzbare Gruppe handelt und offengelassen wird, wer genau gemeint ist, liegt eine Beleidigung aller Kollektivangehörigen vor. Das sei laut Rechtsprechung beispielsweise der Fall bei der Aussage, ein bayrisches Regierungsmitglied sei Kunde eines Call-Girl-Rings oder zwei Mitglieder der FDP-Fraktion unterstützen eine kommunistische Zeitung.

Der umstrittenste Fall ist der, dass sich die Beleidigung nicht gegen einzelne Kollektivangehörige richtet, sondern gegen das Kollektiv als solches wie im oben genannten Fall mit der Zeichenfolge „ACAB“. Dass grundsätzlich auch Behörden und Körperschaften beleidigungsfähig sind, setzt § 194 III S. 2, 3, IV StGB voraus. Voraussetzung sei dabei, dass die Personenvereinigung eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann. Die gilt beispielsweise für den Bundes- oder Landestag, die Bundeswehr oder eine bestimmte polizeiliche Institution. Bei der Polizei im Allgemeinen sei dies nicht der Fall, da auch aufgrund der Aufteilung in Landes- und Bundespolizei eine einheitliche Willensbildung nicht möglich sei. Allerdings kann eine Beleidigung auch auf die persönliche Ehre des Einzelnen durschlagen, wenn es sich um eine abgrenzbare Menge handle. So führt das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung zu der Aussage „Alle Soldaten sind Mörder“ aus, dass es sich bei allen Soldaten der Welt um eine derart unüberschaubare Menge handle, dass ein Eingriff in die persönliche Ehre des Einzelnen nicht vorliege. So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss entschieden, dass ein Aufkleber mit der Aufschrift „ACAB“ auf einer Hose, die der Angeklagte während eines Fußballspieles getragen hatte, keine Beleidigung darstellt. Es führte dazu aus:

„Dabei kann eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein (vgl. BVerfGE 93, 266,299). Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht.“

Das Bundesverfassungsgericht hob die vorinstanzlichen Entscheidungen auf, da es an einer hinreichend überschaubaren und abgrenzten Personengruppe und damit an einer Individualisierung fehle. Es reiche nicht aus, dass die Einsatzkräfte der Polizei am konkreten Ort, die die Aufschrift wahrnehmen, eine Teilgruppe darstellen. Feststellungen, dass er die Einsatzkräfte absichtlich mit der Parole konfrontiert habe, seien nicht getroffen. Ebenfalls genüge es nicht, dass dem Angeklagten bewusst war, dass diese anwesend sein würden. Ebenso entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Fall, in dem während eines Fußballspiels ein Banner mit der Aufschrift ABAC hochgehalten wurde. Auch das Tragen einer Weste mit einem Aufnäher „ACAB“ während eines Fußballspiels sei straffrei. In einem Fall, in dem die Angeklagte einen Anstecker mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ trug, während sie von einer Streife in ihrem Wohnort angetroffen wurde, lehnte das Bundesverfassungsgericht eine Verurteilung wegen Beleidigung mangels „personalisierten Zuordnung“ ebenfalls ab.

Dagegen bestätigte das BVerfG die Verurteilung eines Demonstranten wegen Beleidigung, der bei einer Gegendemonstration zu einer NPD Veranstaltung einen Beutel bei sich trug mit dem Aufdruck „ACAB“, wobei darunter ein Kätzchen abgebildet war mit der Beschriftung „All Cats Are Beautiful“. Das Gericht entschied, dass die Aufschrift beleidigend sei trotz der Übersetzung mit „All Cats Are Beautiful“. Im Gegensatz zu den anderen Entscheidungen ergebe sich aus den Feststellungen, dass er den Beutel bewusst „zur Schau gestellt“ habe, indem er sich den Polizeibeamten immer wieder annäherte. Damit habe er sich auf die anwesenden Polizisten individualisiert bezogen, was für die Strafbarkeit nach § 185 StGB erforderlich sei.

Die Konsequenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist also, dass das bloße Tragen der Aufschrift zwar nicht strafbar ist, das gezielte Zeigen gegenüber einer abgrenzbaren Gruppe dagegen schon, da dann konkret die Ehre der bei der gezielten Präsentation anwesenden Polizisten angegriffen wird.

Auch „die Frauen“ stellen laut dem Landgericht Hamburg einen nicht deutlich umgrenzten Kreis beteiligter Einzelpersonen dar, sodass eine Beleidigung nicht auf alle Frauen durchgreifen könne. Die als Juden vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die jetzt in Deutschland leben, stellen dagegen eine abgrenzbare Gruppe dar, die durch ihr Schicksal verbunden und konkret bezeichnet sind. In diesem Fall schreibt § 194 Abs. 1 StGB sogar vor, dass das Delikt von Amts wegen zu von Amts wegen zu verfolgen ist, soweit nicht durch den oder die Betroffenen widersprochen wird. Der besondere Schutz, unter die Angehörige einer Gruppe, die unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, lautet wie folgt:

„Ist die Tat durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift (§ 11 Abs. 3), in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass beleidigende Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt.“

III. Die Facebook-Beleidigung

Ein juristisch korrekter Begriff ist die Bezeichnung "Facebook-Beleidigung" natürlich nicht. Wenn sich zwei Mitglieder des sozialen Netzwerks Facebook beleidigen, ist dies aus der juristischen Perspektive eine Beleidigung wie jede andere Beleidigung auch. Allerdings hat sich der Charakter der Beleidigung in den letzten Jahren mit zunehmender Bedeutung von Facebook erheblich geändert. War die Beleidigung in Textform in den 80er-Jahren eher die Ausnahme, so ist die Beleidigung in Textform via Facebook heute eher die Regel. Ganz entscheidend ist dabei, dass die auf Facebook geäußerte Beleidigung einen ganz anderen Personenkreis erreicht, als das unter Anwesenden spontan ausgesprochene "Arschloch" und die auf Facebook geäußerte Beleidigung in der Regel deutlich länger wahrzunehmen ist, als ein gesprochenes Wort. Nämlich 24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche und zwar so lange, bis die Beleidigung gelöscht wird. Dabei ist zu bemerken, dass einer Beleidigung auf Facebook durch die Polizei und Staatsanwaltschaft in der Regel keine Beachtung geschenkt und auf den Privatklageweg verweisen wird. Eine wesentlich effektivere Vorgehensweise ist es daher, sich zivlirechtlich gegen Beleidigungen zu wehren, denn jede grundsätzlich strafbare Beleidigung löst auch einen zivlirechtlichen Unterlassungsanspruch aus, weil die Beleidigung auch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung im zivlrechtlichen Sinne ist. Daher ist es leicht möglich, binnen weniger Tage eine Beleidigung mit Hilfe einer Abmahnung oder durch einstweilige Verfügung aus dem sozialen Netzwerk Facebook löschen zu lassen. Statt einer Strafanzeige sollte besser zunächst der zivilrechtliche Weg beschritten werden, eine Anzeige bei der Polizei kann natürlich auch parallel erfolgen.

Ralf Möbius LL.M.
Rechtsinformatik
Rechtsanwalt